Ressourceneffizientes und klimagerechtes Bauen mit Beton – eine Illusion?

30. November 2021 / Beton- und Stahlbetonbau, Oktober 2021 (Ernst & Sohn)

Editorial von Prof. Dr.-Ing. M.Arch. Lucio Blandini

Der Baustoff Beton gerät in letzter Zeit aufgrund der mit seiner Herstellung verbundenen Ressourcenverbräuche und CO2-Emissionen zunehmend in den Fokus der Kritik. Manche stellen sogar in Frage, ob dieser Jahrhundertwerkstoff tatsächlich eine Zukunft hat. Die Berücksichtigung des ökologischen Fußabdrucks unserer gebauten Umwelt ist wichtig und richtig – nur so besteht überhaupt eine Chance, dass die globalen Ziele zum Schutz von Klima und Umwelt erreicht werden. Aber: Beton verfügt über viele herausragende Eigenschaften, die ihn sicher auch in den kommenden Jahrzehnten unersetzlich machen. Wie also kann es gelingen, ressourceneffizient und klimagerecht zu bauen, ohne auf Beton zu verzichten? Drei Ansätze scheinen hierbei besonders erfolgversprechend: Erstens eine radikale Reduzierung der verbauten Massen. Zweitens eine Optimierung der Produktionsprozesse. Und drittens eine deutliche Verlängerung der durchschnittlichen Nutzungsdauer unserer Gebäude. Was steht hinter diesen Ansätzen?

Durch eine konsequente Anwendung der Prinzipien des Leichtbaus ebenso wie durch digitale Planungs- und Fertigungsmethoden lassen sich bereits heute in einigen Bereichen Masseneinsparungen von 50 % und mehr erzielen. Ein Beispiel hierfür sind Deckensysteme, die durch Rippenbildung oder durch eine Änderung der Materialverteilung im Innenraum (Gradientenbeton) wesentlich leichter werden: Material wird nur dort eingesetzt, wo es statisch erforderlich ist. Zweitens: Auch die Optimierung von Herstellungsprozessen und Rezepturen sowie die maximal mögliche Verwendung von Sekundärrohstoffen sorgen für eine deutliche Reduzierung der Emissionen. Gleichzeitig reduziert dies den Druck auf immer knapper werdende natürliche Ressourcen wie Sand und Kies. Last, but not least: Bevor wir an die Wieder- bzw. Weiterverwertung von Baustoffen denken, müssen wir die Verwendungsdauer von Bauwerken selbst maximieren. Momentan ist es noch einfacher, bestehende Strukturen abzureißen und durch neue zu ersetzen, da die Umweltkosten nicht in den Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden müssen.

Die konsequente Umsetzung der oben skizzierten Ansätze erfordert eine Kraftanstrengung aller Beteiligten: Bauherren, Planer*innen, ausführende Firmen ebenso wie die beteiligten Behörden müssen etablierte Denk- und Handlungsmuster hinterfragen. Der immer noch viel zu starke Fokus auf den Energieverbrauch im Betrieb muss durch eine holistische Betrachtung des gesamten Lebenszyklus ersetzt werden. Rezyklierbarkeit und die Reduktion der grauen Emissionen und des Ressourcenverbrauchs müssen (mindestens) ebenso wichtig werden wie die Frage des Dämmwerts und der Luftdichtigkeit.

Damit die große Transformation des Bauwesens gelingt, brauchen wir alle verfügbaren Technologien und Materialien, d.h. auch Beton. Ressourceneffizient und klimagerecht zu bauen, erfordert nicht so sehr ein bestimmtes Material, sondern ein Bündel an Innovationen bei Planung, Bau und Betrieb unserer gebauten Umwelt. Dieses Bündel erfolgreich zu schnüren, gelingt uns aber nur dann, wenn wir konsequent auf die wichtigsten menschlichen Eigenschaften zurückgreifen: Kreativität und den Mut zur Innovation.

Lucio Blandini

Wiley Online Library

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